Heute
früh kommt Abschiedsstimmung auf, wir sind auf dem Rückweg. Tendi scheint
wieder vollkommen „fit" und nimmt seine gewohnte Position am Ende der
Schlange ein. Bis Dughla wandern wir auf bekanntem Pfad - natürlich bei
wiederum herrlichem Oktoberwetter. Ein längerer Halt ist am Thoklapass fällig,
dem Ort der Gedenksteine, wo wir schon beim Anstieg rasteten. Wir
beobachten fünfzehn Bergsteiger im Gipfeleis des
Lobuche East (6119m). Sie
befinden sich bereits im Abstieg. Von hier unten macht der Gletscher einen
ungemein steilen Eindruck. In der Magengrube stellt sich unwillkürlich ein
Gefühl von Gefahr ein, ohne Bezug zur tatsächlichen Situation der fünfzehn „Pünktchen"
dort oben. Darein mischt sich noch eine weitere Empfindung, so ein „Ziehen".
Ja, ich wäre gerne einer von diesen fünfzehn, avancierte gerne vom Trekker zum
Expeditionsbergsteiger. |
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Auf dem Rückweg: Kurz vor dem Dughlapass mit Blick auf den Taboche |
Dazu
müsste ich aber wieder einmal hierher kommen und all die Entbehrungen wieder
auf mich nehmen, vielleicht in noch viel stärkerem Maße auf die
Grundbedürfnisse reduziert. Will ich das? Nein, im Moment bin ich entschlossen
Ähnliches nie wieder zu unternehmen. Ob das Bestand haben wird? Wäre mir der
Verzicht auf alles Mögliche auch dann so schwer gefallen, wenn ich die
Zahnschmerzen und den Durchfall nicht bekommen hätte?
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Ines am Dughla-Pass.
Dort oben im Gipfeleis des Lobuche bewegen sich 15 Bergsteiger |
Nach
der 300-Meter-Steilstufe des Thokla-Passes und der Lodge von Dughla gilt es die
Brücke über den Lobuche Khola zu passieren. Leichter gesagt als getan. Just in
diesen Minuten treffen hier mehrere Trekkergruppen, Träger und Yak-Transporte
zusammen, wollen in beiden Richtungen über den schmalen Steg. Wer Vorfahrt hat?
Diese Frage kann nur stellen, wer noch nie einem der massig-trägen, zwar
gutmütigen aber unbeirrbar vorwärts stapfenden Yaks begegnet ist. Ihre weit
ausladenden Hörner und die breite Gestalt flößen Respekt ein. Also tritt man
zur Seite. Damit kein Irrtum entsteht: Es gibt wirklich nicht den mindesten
Grund sich vor den Tieren zu fürchten. Sie sind genauso friedliebend wie die
Menschen der Gegend und wirken letztendlich so malerisch in dieser Umgebung,
wie die Kühe im heimischen Allgäu. Fellbepackt, wie sie sind, haben sie auch
was von einem Teddybär und wer hat schon Angst vor einem Teddybär ..? - Also
erst die Yaks, dann die keuchenden Träger und schließlich - mehr oder weniger
ungeordnet - die verschiedenen Trekker. Ein bisschen „action" an einem
weitgehend ereignislosen Tag. |
Danach
geht es erneut 300 Meter hinab, bis sich die ungewöhnlich breite Talsohle vor
Pheriche öffnet. Ab hier marschiert man noch gut eine Stunde bis Pheriche, mit
kaum merklichem Gefälle, mal über den Fluss, dann wieder durch Buschwerk, über
Grasflächen oder auch kiesige Untergründe. Seit geraumer Zeit schon steht uns
ein ziemlich schneidender, ekelhaft kalter Wind im Gesicht. Grund genug sich
warm anzuziehen, was ich dann auch Stück für Stück tue. Ein Wind der krank
machen kann, irgendwie fühle ich das. Er bläst mit konstanter Stärke aus
Richtung Tal. Unter unseren Sohlen wirbelt er eine Menge Staub auf, der sogar
zum Husten reizt. Mit Hunger im Bauch wird die karge Ansammlung von Steinhütten
und Lodges, die als „Pheriche" in der Karte steht, zu einem willkommenen Ort.
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Kartenausschnitte für diesen Tag |
Lobuche - Pheriche |
Pheriche - Tengboche |
Zum Anfang |
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Einige Links zu diesem Tag |
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Im äußeren verglasten Panorama-Gastraum der Lodge - dieselbe übrigens, in der wir
beim Anstieg nächigten - läuft dann das allmittägliche
Bestellritual ab: Tendi bringt Speisekarte und Bestellbuch. Einer nach dem
anderen studiert die immer wieder sehr ähnliche Speisenauswahl, trägt seine
Entscheidung in das Buch ein oder macht vor einem Gericht einen weiteren Strich.
Wenn Tej oder Tendi das Bestellbuch in die Küche bringen ist schon eine
Viertelstunde vergangen und beginnt das Warten ... Es zieht wie Hechtsuppe in
diesem Glaskasten. Zu einem fensterlosen Nebenraum gibt es eine offene Luke,
durch die der Wind pfeift. Auf mein Meckern hin stellt Ines meinen Rucksack vor
das Loch, wonach es etwas besser wird. Mehr oder weniger teilnahmslos lehne ich
sitzend an der Glasscheibe und beobachte die Anderen. Lesend, dösend,
umherblickend sitzen sie da, keiner unterhält sich. Irgendeine Illustrierte
wandert von einem zum anderen und löst ein wenig Heiterkeit aus, es ist wohl
ein englischsprachiges Blatt mit Kontaktanzeigen. Wie kommt so was hier her und
was macht das hier für einen Sinn? Kontaktanzeigen? - Das Essen kommt, Potatoe
Chips mit Ketchup, eine Art Pommes Frites in Sojaöl frittiert. Immer häufiger
habe ich das in letzter Zeit gegessen, eine Art „kulinarischer Protest" gegen
das tägliche Reis-Kartoffel-Einerlei. |
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Wir
zahlen und machen uns wieder marschbereit. Unterdessen ist schon ein Gutteil
des Himmels bewölkt. Die Sonne hat an Kraft verloren, verschwindet zeitweise.
Noch kälter fährt der Wind in alle Kleidungsöffnungen. Die Sicht wird immer
schlechter und meine Stimmung differiert nur unwesentlich ... Pangboche beendet
nach etwa einer Stunde meinen aufkommenden Trübsinn. Bei der Zimmerverteilung
hat Tendi (oder war es Tej?) ein Herz für das einzige Ehepaar der Gruppe. Er
schanzt uns das helle Eckzimmer im ersten Stock zu, mit zwei Fenstern und einem
Doppelbett.
Kaum
zu glauben aber wahr: Es beginnt zu regnen! Ein Nieseln zwar nur aber immerhin.
Es ist das zweite und zugleich letzte Mal während der 23 Tage, dass Nässe vom
Himmel fällt. Jemand hat unseren grünen Plastikeimer, den die Träger von Lodge
zu Lodge mitschleppen, draußen auf eine Steinbrüstung gestellt und mit heißem
Wasser gefüllt. Ich hole Seife und Handtuch, um mir den Staub des Tages vom
Gesicht zu waschen. Heute fühle ich mich, nach etlichen Tagen ohne
Körperpflege, zum ersten Mal wirklich schmutzig und auch verschwitzt. Ein wenig
muss ich warten und zusehen, wie sich Matthias die Haare wäscht. Da weiß ich,
ich will das auch. Vernünftig ist es nicht, in dieser Kälte und im Nieselregen
stehend. Dennoch erfülle ich mir den Wunsch und fühle mich danach wirklich
besser.
Eine
halbe Stunde später finden wir uns im kalten Gastraum der Lodge wieder. Es hat
nun keinen Zweck mehr, sich etwas vor zu machen: Ich habe Halsschmerzen. Eine
Weile schon spürte ich das Kratzen, ignorierte es aber einfach. Wird mich nun
auch eine Erkältung malträtieren? Missmutig denke ich Sätze, die mein Hadern
mit dem Schicksal formulieren. Erst nachdem der Ofen angeheizt ist, wird es
angenehm warm. Mit den üblichen Tätigkeiten warten wir dem Abendessen entgegen.
Nach und nach treffen die anderen ein. Manche hatten sich für eine Weile „auf´s
Ohr gelegt". Nach dem Abendessen löst sich die Gruppe schnell auf, zuletzt
sitzen nur noch Lars, Hans-Jörg, Ines und ich zusammen. Hans-Jörg erzählt von seiner
Leidenschaft zu Hause, dem Drachenfliegen. Ines und Lars spornen seine
Erzählungen immer wieder mit neuen Fragen an und so wird der Abend schnell
älter. Zuletzt bleiben Lars und Hans-Jörg alleine zurück und wir kriechen in
unserer „Suite" in die zu einem verbundenen Schlafsäcke. Es wird die zweite Trekkingnacht,
die mir einen wirklich guten Schlaf gönnt - trotz der Halsschmerzen.
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